Segeln / Kanaren

Nachdem wir bei den bisherigen Überfahrten immer guten Wind hatten und die letzte Überfahrt von Rabat nach Porto Santo mit fast 500 sm fast doppelt so lang war, sehen wir den kommenden 250 sm zu der nördlichsten der Kanarischen Inseln recht gelassen entgegen.

In 48 Stunden sollte das doch zu schaffen sein. Nur zwei Nächte – da beginnt man sich doch gerade erst an den nächtlichen Wachrythmus zu gewöhnen. Die bekannt erfolgreichen Bestellungen der Bordfrau an das Universum lauten: „eine ruhige und beschauliche Fahrt“. Bisher bestimmten Schütteln und Beuteln, Ächzen und Krachen den Tag und natürlich auch die Nacht, aber wir waren immer flott unterwegs. Doch diesmal lässt uns der Wind bald im Stich. Beim Ablegen hat der er noch gepasst, aber jetzt sind wir schon bald 3 Stunden in der Abdeckung der Insel Deserta – so groß ist die doch gar nicht – dann haben wir freien Wind und sind mit 6,5 kn für Bordfrau und Skipper zufriedenstellend unterwegs.

Schönwettersegeln

Schönwettersegeln

Nach Mitternacht wird der Wind immer schwächer und am Vormittag stehen wir in einem weitläufigen Flautenloch.
Unter 2 Knoten beginnen die Segel schlagen, der Großbaum gibt ein unerklärbares und beunruhigendes Knarren von sich und nach einigen endlos wirkenden Stunden wird der segelsportliche Ehrgeiz über Bord geworfen und der Motor eingeschalten. Eine Erlösung für Moral und Material. Fast 7 Stunden treibt uns die „Eiserne“ Genua voran, bis wir wieder versuchen bei leichter Brise mit den Segeln Meilen zu machen.
Klingt zwar unglaublich, aber Leichtwindsegeln ist weit anstrengender als Starkwindsegeln. Anstrengend sind ja die Segelmanöver, segeln tut unsere Cul8r bekanntlich alleine. Segelmanöver sind immer dann notwendig, wenn sich der Wind in Richtung und/oder Stärke ändert, und das geschieht bei Leichtwind wesentlich häufiger als bei Starkwind.

Sonnenuntergang

Sonnenuntergang

Mal 2 Knoten von vorne, dann wieder 5 Knoten von hinten – beides zum Segeln suboptimal. Bald wird uns klar, dass wir die geplanten 2 Tage nur unter massiver Hilfe der Motoren schaffen würden und entschließen uns lieber mehr zu segeln und daher eine weitere Nacht unterwegs zu sein.
Graciosa taucht erst im Morgengrauen des dritten Tages auf, nach 65 Stunden, wovon 20 mit Motorunterstützung für einen Schnitt von knapp 4 Knoten sorgten. Ganz sicher unsere bisher „ruhigste“ Überfahrt – so wie von der Bordfrau bestellt.

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Die nächsten Tage auf Graciosa bleiben eher windlos und erst zur Weiterfahrt stellt sich der übliche NO-Wind wieder ein, der die meiste Zeit mit 15-20 Knoten (4-5 Beaufort) weht. So gestalten sich die weiteren Tagesetappen an der Ostseite von Lanzarote und Fuerteventura als recht flott und setzten jede Menge Adrenalin frei.

knapp verfehlt

knapp verfehlt

Besonders erwähnenswert das mehrstündige Spinaker-bergemanöver auf der Fahrt nach Gran Tarajal, das wir sicher nie vergessen werden. Wir setzen – mag sein im Übermut – den Spi bei konstanten 12-15 Knoten Wind und rauschen etwa eine Stunde recht flott dahin, als die Böen einer Regenfront uns auf über 9 Knoten beschleunigen und Bordfrau und Seemannschaft den Übermut des Skippers überstimmen. In aller Ruhe und mit Sorgfalt wird das übliche Bergemanöver eingeleitet. Auf optimalem stumpfen, raumen Kurs versucht Claudia den Sack nach unten zu ziehen, während ich am Ruder versuche den Achterholer loszuwerfen. Da dieser zwar offen, aber noch 3x um die Winsch gelegt ist, gelingt mir meine Aufgabe nicht. Claudia sieht, warum der Sack nicht nach unten zu ziehen ist und geht zu der Winsch mit dem Achterholer, während ich auf der anderen Schiffsseite halt die Schot loslasse, weil der Achterholer nicht frei kommt.

Spinaker gerefft

Spinaker gerefft

Damit nimmt das Übel seinen Lauf – und wir können nur mehr tatenlos zusehen. Durch das Fieren der Schot und ohne gleichzeitiges Anziehen an der Sackleine wickelt sich der Spi mehrmals um das Vorstag und ist von dort nicht mehr wegzubringen. Trotz Durchziehen der Regenfront besteht keine unmittelbare Gefahr. Durch das Umwickeln hat sich der Spi selbst gerefft und gibt dem Wind kaum Angriffsfläche. Wir bleiben auf Vorwindkurs, um den scheinbaren Wind so weit als möglich zu reduzieren, reffen das Großsegel – als reine Vorsichtsmaßnahme – und haben jetzt Zeit genug nachzudenken, wie wir diese „Wurst“ wieder vom Vorstag wegbringen könnten.

Die vier (!) Schoten abzuschlagen geht ganz leicht, doch Auswickeln ist in keine der beiden Richtungen möglich, weil das Unterliek sich scheinbar in BEIDE Seiten eingewickelt hat. Klingt unglaubwürdig, finde ich auch, ist aber so. Ich kann die „Wurst“ einfach nicht ausdrehen.

Spinakerwurst

Spinakerwurst

Zum Glück hat meine spinakererfahrene Bordfrau immer gute Ideen und macht den Vorschlag dem Lösen eines Knotens ähnlich, den inneren Teil des Spis nach unten zu ziehen, um damit dem Teil der „Wurst“ an der Oberfläche die Spannung zu nehmen. Verstanden hab‘ ich die Idee zwar nicht, aber ein Versuch ist es wert – und siehe da, durch das Lösen der inneren Spannung, lässt sich der äußere Teil der „Wurst“ vom Vorstag lösen und eine Umdrehung ausdrehen – ein sensationeller Erfolg – und gleichzeitig der Beginn der eigentlichen Arbeit. Durch jede ausgedrehte Wicklung kann der Wind den noch immer mehrmals um Vorstag gewickelten Spi aufblasen und eine weitere Entwirrung verhindern.

Überflüssig zu sagen, dass bei den hier auftretenden Kräften ein Halten des Spinakers mit bloßen Händen nicht mehr möglich ist und wir sehr achtgeben müssen, dass der Spi immer mit mindestens einer Leine gesichert ist. Je weiter wir den Spi ausdrehen, desto größer werden die Kräfte – der Wind versucht uns den Spi immer wieder zu entreißen. Wieder die rettende Idee der Bordfrau: „Spinaker reffen!“ – und zwar durch Eindrehen. Nur im eingedrehten Zustand gelingt es uns die Spinakerwurst vom Vorstag zu lösen, ohne dass sie uns vom Wind wieder entrissen wird. Und das war`s dann schon – erst nach der letzten Umdrehung ist es uns möglich das Fall zu öffnen und den Spi mit Sack nach unten zu bringen – riesige Erleichterung in der Mannschaft macht sich breit. Wir haben es doch irgendwie geschafft – vor einer Stunde haben wir ernsthaft diskutiert, mit dem Spi am Vorstag in den nächsten Hafen einzulaufen – das hätte zwar sicher spektakulär ausgesehen, aber der Spi hätte das nicht ausgehalten, denn wir hatten Fallböen bis 31 kn.

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Diese Fallböen in den „Acceleration Zones“, in Lee der bergigen Inseln, werden zwar in den Hafenhandbüchern genau beschrieben, bringen die gesamte Mannschaft aber trotzdem gehörig ins Schwitzen. Bei der Fahrt nach Moro Jable, an der Südseite von Fuerteventura, dreht der Wind um fast 90 Grad und legt von 15 auf 30 Knoten zu. Zweites Reff ins Groß, Genua deutlich eingerollt, selbst gesteuert – (noch) kein Vertrauen zum Autopilot bei böigem Wind. Der scheinbare Wind kommt ziemlich genau quer zur Schiffsrichtung und direkt vom Land, kaum Welle. Wenn die Bö kommt, abfallen und ab geht die Post. Minutenlang zeigt der Windmesser 34-35 kn wahren Wind, das GPS 14-15 Knoten Fahrt. Als Maximalwerte hat die Elektronik 37,3 Knoten Wind und 17,6 Knoten Fahrt über Grund gespeichert – Werte die dem Skipper die Schweißperlen auf die Stirn treiben und die Fieberblase am nächsten Tag erklären. Nur die Cul8r blieb cool und zeigt keinerlei Schwächen. Es scheint kaum Grenzen zu geben – es geht immer noch schneller – und ohne Welle dürfte auch Kippen oder Unterschneiden kaum möglich sein.
Wieder ist das Vertrauen zu Schiff und Mannschaft gewachsen und beim nächsten Mal werden wir dann schon ganz locker alle brenzlichen Situationen abwettern. Hoffentlich.

Kommentar

 
  • Ernst Margarete Höss sagt:

    Lieber Skipper und Bordfrau !

    Lesen mit Begeisterung und natürlich mit Ehrfurcht die immer wieder
    neuen und waghalsigen Segelmanöver. Ihr seid ja Experten in Reinkultur, wir sehen mit immer grösserer Ruhe und Freude unserem nächsten Wiedersehen entgegen.
    Schiff ahoi und Mast und Schottbruch, bis zum nächsten Mal Bussi Mama und Papa.

    ehrfurcht
    E